Die lange ersehnte Zinswende ist da, das ist die gute Nachricht! Sie hat aber zwei Gesichter:

Diejenigen Versorgungswerke, deren Leistungsniveau genau wie beim VwdA kalkulatorisch auf der Kapitaldeckung beruhen, haben wegen der Niedrigzinsphase herausfordernde Jahre hinter sich und können nun wieder mit auskömmlichen Kapitalmarktzinsen kalkulieren. Mit zehn Zinsanhebungen in relativ kurzer Zeit hat die EZB jedoch die Bewertungsrisiken für Bestandsinvestments drastisch erhöht. Trotz eines erfreulichen Ausblicks sind deshalb kurzfristig negative Bewertungsanpassungen für Bestandsinvestments zu adressieren, bevor Überschüsse wieder in Leistungsanhebungen übersetzt werden können.

Die Niedrigzinsphase glich für rein kapitalgedeckte Versorgungswerke einem nicht enden wollenden Winter. Mit den Vorräten musste sparsam gehaushaltet werden. Alle – Beitragszahler:innen und Rentner:innen – mussten auf Überschussbeteiligungen verzichten und die Generation der Beitragszahler:innen erhielt für Beiträge ab 01.01.2018 einen an die Kapitalmarktrealität angepassten Verrentungszins von 2,5%. Um auf vergleichbare Rentenanwartschaften wie die derzeitige Generation der Rentner:innen zu kommen, sind deutlich höhere Sparanstrengungen erforderlich. Aus Gründen der Generationengerechtigkeit können Überschüsse deshalb in einem kapitalgedeckten System nicht alleine zu Anhebungen der Renten führen. Im Gegenteil: den Ansprüchen von beiden Generationen ist Rechnung zu tragen und ein fairer Ausgleich der Interessen herzustellen. Hierüber entscheiden die mit Vertreter:innen des Berufsstandes besetzten Gremien des Versorgungswerks.
Im Gegensatz zur deutlichen Mehrheit der berufsständischen Versorgungswerke, deren kalkulatorische Grundlagen auf einem Mischsystem, dem sogenannten offenen Deckungsplanverfahren beruhen, welches Elemente der Kapitaldeckung und Elemente der Umlagefinanzierung kombiniert, ist der Kapitalmarktzins Dreh- und Angelpunkt kapitalgedeckter Systeme. Durch die individuelle Äquivalenz von Beitrag und Leistung in der Kapitaldeckung führte dies zu vergleichsweise höheren Rentenanwartschaften, verringerte jedoch dadurch auch die Möglichkeit für Leistungsanhebungen während der Niedrigzinsphase.

Es galt: Rentenanwartschaften, die aus Beiträgen vor dem 01.01.2018 erworben wurden, konnten rückwirkend nicht mehr aufkommensneutral an den langfristigen Kapitalmarktzins angepasst werden, denn um bei einem niedrigeren angenommenen Kapitalmarktzins auf die gleiche Rentenhöhe zu kommen wie vorher, hätten entsprechend höhere Beiträge bezahlt werden müssen, die auf Basis des niedrigeren Zinses zur gleichen Rentenanwartschaft führen.

Rückblick: Bei Gründung der Versorgungswerke galt noch ein langfristiger durchschnittlicher Kapitalmarktzins in Höhe von 4% als eine dauerhaft unterstellbare „realistische“ Annahme für die versicherungsmathematische Kalkulation. Dieser wurde als sogenannter „Rechnungszins“ auch für die Bewertung der kalkulierten zukünftigen Rentenanwartschaften zum jeweiligen Bilanzstichtag zu Grunde gelegt. Es wurde nicht unterschieden zwischen „Verrentungszins“ und „Bilanzierungszins“. Erst mit der sich als dauerhaft entwickelten Niedrigzinsphase wurde diese Unterscheidung in Bilanzierungszins und Verrentungszins getroffen. In dem die Generation der Beitragszahler an die Realität eines geringeren Zinsniveaus angepasst wurde, war dies für die ältere Generation nicht mehr möglich. Trotz Niedrigzinsphase muss für die ältere Generation weiterhin der ursprüngliche Rechnungszins von 4% erwirtschaftet werden. Eine hohe Bürde in einer derart langen Phase mit Null- und sogar Negativzinsen!

Eine nachträgliche Anpassung dieser kalkulatorischen Rechnungsannahme hätte eine signifikante Kürzung der laufenden Renten und der bereits erworbenen Rentenanwartschaften bedeutet. Dies galt es durch folgende Anpassungsmaßnahmen zu vermeiden: die junge Generation trug durch die Anpassung des Verrentungszinses an die Kapitalmarktrealität für neue Beitragszahlungen und den sich daraus ergebenden geringeren Rentenanwartschaften dazu bei, dass die alten Anwartschaften weiterhin durchfinanziert sind. Für alle Generationen wurden zudem Überschussbeteiligungen ausgesetzt, um aus diesen die Absenkung des „Bilanzierungszinses“ zu finanzieren.

Da in der Kapitaldeckung Leistungsanhebungen ausschließlich aus dauerhaften Überschüssen oberhalb dieses alten Rechnungszinses von 4% gewährt werden können, erfolgten seit 2016 keine Leistungsanhebungen im Zuge der Niedrigzinsphase. Durch die nicht ausgeschütteten Mittel konnte dann der historische Rechnungszins von 4% auf derzeit 3,75% gesenkt werden. Hierfür waren rund 240 Mio. Euro aus Reserven notwendig. Dadurch wurden sämtliche Anwartschaften so gestellt, als wären die Beiträge der Vergangenheit mit nur 3,75% verzinst worden und hätten ohne höhere Beiträge trotzdem zur selben Rentenanwartschaft geführt, wie bei ursprünglich 4% Rechnungszins.

Mit der Zinswende ergeben sich nun für die Anlage neuer Mittel (Beitragszahlungen, Rückflüsse und Neuveranlagungen aus der Kapitalanlage) wieder dauerhaft kalkulierbare Erträge von ca. 4%, d.h. Erträge um bzw. leicht oberhalb des Bilanzierungszinses von 3,75%. Zusammen mit Überrenditen aus sogenannten „Risikoanlagen“ wie Aktien, Unternehmensbeteiligungen, Finanzierungen etc. sind perspektivisch demnach wieder dauerhafte Überschüsse oberhalb von 3,75% erzielbar und damit Leistungsanhebungen der Anwartschaften und Renten möglich.

Dies ist mittel- bis langfristig auch der Fall! In der für uns versicherungsaufsichtsrechtlichen Modellierung der zukünftigen Entwicklung unter Berücksichtigung von Risikoaspekten wirkt sich dies für die junge Generation positiv für die erreichbare Leistungshöhe aus, um die Effekte der Niedrigzinsphase abzumildern. Die Stärke der Kapitaldeckung liegt im Zinseszinseffekt. Aufgrund des Zinseszinseffekts ist es bedeutsam, dass für die am weitesten zurückliegenden Beitragszahlungen wieder Leistungserhöhungen erfolgen und dadurch der Zinseszinseffekt seine Wirkung entfalten kann. Die Inflationsentwicklung wird über die Dauer des Berufslebens durch ein steigendes Berufseinkommen und damit höheren Beitragszahlungen an das Versorgungswerk im Idealfall ausgeglichen, denn: die Stärke der Kapitaldeckung liegt gerade auch in der unmittelbaren Äquivalenz von Beitragszahlungen und der daraus resultierenden Leistungshöhe. Dies unterscheidet das VwdA von den meisten anderen Versorgungswerken und der gesetzlichen Rentenversicherung, sofern es diesen nicht gelingt, nachgelagert durch höhere Leistungsanpassungen diesen Vorteil des VwdA wettzumachen.

Das bedeutet: höhere Beiträge führen im Gegensatz zu anderen Systemen äquivalent zu höheren Rentenansprüchen!

Die Generation der Rentenbezieher hingegen konnte diesen Effekt während des aktiven Berufslebens voll ausnutzen. Im Ergebnis führte dies zu signifikant höheren Rentenanwartschaften wie bei anderen Systemen und insbesondere im Vergleich zur Deutschen Rentenversicherung. Wie beschrieben wurden Überschüsse für die Nachkalkulation der Rentenanwartschaften auf Basis eines geringeren Zinsniveaus verwendet und es fanden keine weiteren Erhöhungen der laufenden Renten statt, während die gesetzliche Rentenversicherung sozialpolitisch motivierte hohe Leistungserhöhungen gewährte.

Da Rentner die Inflationsdynamik nicht mehr durch die Einkommensentwicklung langfristig ausgleichen können, sind Sie unmittelbar über die sinkende Kaufkraft ihrer Renten betroffen und haben dadurch dringendes Interesse an Rentenerhöhungen. Durch die Beendigung der Phase niedrigster Zinsen um die Nulllinie herum, rückt die Möglichkeit für Leistungsanhebungen trotz des hohen Rentenniveaus wieder in greifbare Nähe, sobald die negativen Effekte auf die Bestandsinvestments überwunden sind.

Zur Erklärung: die Anlage des Kapitalstocks eines Versorgungswerks erfolgt im Rahmen versicherungsaufsichtsrechtlicher Vorgaben. Durch den Wegfall kalkulierbarer Zinserträge während der Nullzinsphase bzw. der historischen Ausnahmesituation von zeitweise sogar negativen Zinsen (!) mussten diese fehlenden Zinserträge kompensiert werden. Dies geschah durch einen Ausbau der Immobilieninvestments und alternativen Finanzierungen. Darüber hinaus wurden Risikoinvestments wie bspw. Aktien, mit schwankenden Ergebnissen angesichts der sich in schneller Abfolge entwickelnden Risiken in der Welt, hochgehalten.
Hier zeigt die Zinswende ihr zweites Gesicht: es drohen aktuell hohe Bewertungsverluste!
Insbesondere am Immobilienmarkt ist derzeit mit signifikanten Bewertungsanpassungen zu rechnen.

Der Zinsanstieg um 4,5% in nur 14 Monaten führt zu einer Neubewertung sämtlicher Vermögensgegenstände an den Kapitalmärkten. Das Banken- und Finanzsystem hat den drastischen Zinsanstieg bislang gut verkraftet. Allerdings sind die Auswirkungen noch nicht überall spürbar. Sie zeigen sich erfahrungsgemäß erst mit einem zeitlichen Verzug von üblicherweise 12 bis 18 Monate. Diesen Zeitraum braucht es, bis sich Zinserhöhungen in das Finanzsystem und die Realwirtschaft hineinarbeiten. Dies geschieht durch eine sinkende Fähigkeit zur Bedienung der Schulden, die von Bürgern, Unternehmen und Staaten aufgenommen wurden.

Das Finanzsystem und die Realwirtschaft stecken dazu in einem strukturellen Wandel. Politische Risiken, der demografischen Wandel, die zunehmenden Digitalisierung und die Herausforderungen durch Klimarisiken und der Energiewende verschärfen die Lage.
Einer der größten Profiteure der Zinswende sind bislang noch die Kreditinstitute, deren Zinsmarge sich deutlich erhöht hat. Auch Versicherungen können die garantierte Mindestverzinsung wieder leichter erwirtschaften. Diese liegt jedoch aktuell bei 0,25% für Neuverträge. Die laufende Verzinsung wird in der Lebensversicherung perspektivisch steigen.
Auch die Versorgungswerke profitieren durch die höheren Zinsen für Neuanlagen.
Allerdings sind mit der Zinsrallye deutliche Bewertungsverluste verbunden. Diese sind zwar so lange kein Problem, so lange die betroffenen Papiere nicht verkauft werden müssen. Nichtsdestotrotz belasten diese vorübergehenden Bewertungsverluste das Jahresergebnis des VwdA 2022 deutlich. Erträge innerhalb von Wertpapierspezialfonds konnten aufgrund der Bewertungsverluste nicht in die Gewinn- und Verlustrechnung überführt werden. Der Jahresfehlbetrag für das Geschäftsjahr 2022 resultierte zum großen Teil auf diesen Bewertungseffekten. Damit diese die Fähigkeit zur Ertragsausschüttung nicht über längere Zeit lähmen, d.h. vereinfacht ausgedrückt bis zur Fälligkeit der Papiere, wurden die Wertpapierfonds neu strukturiert und signifikant umgeschichtet.

Problematisch für das kommende Geschäftsjahr 2024 könnte die Entwicklung am Immobiliensektor werden. Erste Bewertungsanpassungen aufgrund der Zinswende zeichnen sich bereits im laufenden Geschäftsjahr 2023 ab. Derzeit entsteht im Bereich der Gewerbeimmobilien ein „Trilemma“, bestehend aus steigenden Refinanzierungszinsen, sinkenden Verkaufspreisen und explodierenden Baukosten. Das Transaktionsvolumen in entsprechenden Marktsegmenten liegt aktuell knapp 80% unter dem Vorjahreswert! Man kann nicht mehr von einem funktionierenden Markt sprechen. Notverkäufe großer Investoren, welchen die Refinanzierungsbasis wegbricht, könnten eine Negativspirale ins Rollen bringen aus weiter fallenden Bewertungen, verschärften Kreditstandards und Kreditausfällen mit Auswirkungen auf den Bankensektor und wegen einer sinkenden Finanzierungstätigkeit ebenfalls auf die Realwirtschaft. Die Gefahr weiterer Ansteckungseffekte ist derzeit nur schwer abschätzbar.

Das VwdA verfügt zwar bei den Immobilieninvestments noch über stille Reserven, je nach weiterer Entwicklung könnte dies jedoch bedeuten, dass sich manifestierende Bewertungsverluste aus den Rücklagen zu decken sind, bis sich die Finanzmarktsituation wieder etwas normalisiert hat. Es gibt demnach weiter Grund zur Vorsicht!
Die Vertreterversammlung des Versorgungswerks hat auf Ihrer Sitzung am 21.11.2023 angesichts der multiplen krisenhaften Entwicklungen an den Finanzmärkten beschlossen, bei der bilanziellen Bewertung von bislang nicht offen ausgewiesenen versicherungstechnischen Reserven diese künftig offen auszuweisen und das System der reinen Kapitaldeckung zu Gunsten eines sogenannten geschlossenen Deckungsplanverfahrens zu modifizieren. Dieser offene (bilanzielle) Ausweis der Reserven stärkt die Risikotragfähigkeit und erhöht den Handlungsspielraum.

Für die Teilnehmer:innen des VwdA hat diese Bewertungsumstellungen keine Relevanz. Hinzu kommt: die Mehrzahl der Versorgungswerke nutzt bereits seit Ihrer Gründung noch weitergehende Elemente der Umlagefinanzierung durch das sogenannte offene Deckungsplanverfahren. Zusätzlich erfolgt eine Koppelung der Leistungshöhe an die Entwicklung der Beitragsbemessungsgrenze.

Mit dem Wechsel in das geschlossene Deckungsplanverfahren bewegen wir uns somit einen moderaten Schritt in Richtung der kalkulatorischen Rechnungsannahmen der anderen Versorgungswerke.

Die durch diesen Schritt freiwerdenden Reserven erlauben mehrere Maßnahmen, wie der Vorsitzende des Verwaltungsrats, Herr Wolfgang Riehle, in seiner Rede zur Lage betonte: Neben der Erhöhung der offen ausgewiesenen Reserven erlaubt die Maßnahme, den Bilanzierungszins weiter abzusenken. Zielgröße ist ein Bilanzierungszins von 3,25%, um eine möglichst langfristig tragfähige kalkulatorische Grundlage zu etablieren – auch für den Fall eines wieder sinkenden Kapitalmarktzinsniveaus. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit von künftigen Überschüssen auf Basis der derzeit deutlichen gestiegenen Zinsen und damit steigt gleichzeitig die Möglichkeit von Leistungsanhebungen. Erster Indikator für eine zeitnahe Leistungsanhebung werde das Jahresergebnis 2023 sowie die Entwicklung an den Immobilienmärkten 2024 sein, so der Vorsitzende.

Die Zinswende bringt damit endlich wieder die versicherungstechnischen Annahmen aus der Vergangenheit mit der Kapitalmarktrealität deutlich näher zusammen, auch wenn kurzfristig möglicherweise noch drohende Bewertungsabschläge bspw. im Immobilienbereich und bei alternativen Finanzierungen aufzufangen sind, bevor wieder Überschüsse als Leistungsanhebungen weitergegeben werden können.

Fazit: der Ausblick für die künftige Leistungsentwicklung hat sich durch die gestiegenen Zinsen damit deutlich verbessert, auch wenn die Risiken derzeit noch zur Geduld mahnen.